Wer Ahnenforschung betreiben will, muss wissen, wo die Vorfahren gelebt haben, um in Kirchenbüchern, Gerichtsakten oder anderen Quellen fündig zu werden. Wer jemals einen Ort in Osteuropa gesucht hat, wird schnell festgestellt haben, dass dies extrem schwierig ist. Dafür gibt es viele Gründe:
Der Ortsname wurde geändert. Besonders häufig geschah dies auf der Krim.
Es gibt viele verschiedene Transkriptionen der kyrillischen Buchstaben und auch Unterschiede zwischen Russisch und Ukrainisch.
Der Ort existiert nicht mehr. Allein in Wolhynien gibt es über 1000 Orte mit einst deutschen Einwohnern, die verschwunden sind.
Der Ort wurde eingemeindet oder mit einem anderen Ort zusammengeschlossen.
Viele Orte tragen den gleichen Namen, besonders häufig in Polen.
Mehrmals verschoben sich die Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg bis heute. 1991 entstanden aus Sowjetrepubliken selbständige Staaten mit eigenen Schriftsprachen. Für Wolhynien war dies extrem: bis 1920 Russisch, dann im Westen bis 1939 Polnisch, 1939 bis 1941 Russisch, 1941-1944 Deutsch, dann wieder Russisch und ab 1991 Ukrainisch.
Zum Finden eines Ortes im ehemals Russischen Reich benötigt man fast immer ergänzende Informationen, kleinere Orte zu finden.
Vor 13 Jahren begann ich nach meinen Vorfahren zu forschen und suchte zuerst den Geburtsort meines Vaters. In meinem Ahnenpass steht Żeleznica, Kr. Rowno. Obwohl mein Vater 1907 im Russischen Reich geboren wurde, war die Ortsangabe eine Mischung von Polnisch und der Transkription des russischen Namens ins Deutsche. Der Kreis ist eindeutig: es ist die Hauptstadt der heutigen ukrainischen Oblast Рівне (Rivne), polnisch Równe, russisch Ровно (Rowno). Der Ort liegt in Wolhynien.
Heute ist es dank der Möglichkeiten des Internets deutlich einfacher als vor zehn Jahren, einen Ort zu finden:
Gibt man „Zeleznica, Rowno“ im Internet-Lexikon Wikipedia ein, so erhält man noch kein Ergebnis. In vielen anderen Fällen ist Wikipedia aber sehr hilfreich.
Erfolgreicher ist die Suche mit Google: „Zeleznica, Rowno“ führt zu einer Vielzahl von Fundstellen, u.a. zu einer Liste von Ortschaften in West-Wolhynien (1927), die auf der Basis der „Karte der deutschen Sprachinseln im zu Polen gehörenden Wolhynien“ von Kurt Lück erstellt wurde. Dort steht Żeleźnica, Kirchspiel Tuczyń, Index G4. Die Karte dazu findet man auf einer Internetseite von www.wolhynien.de. Żeleźnica liegt am rechten Rand der Karte und ist somit ein Ort, der sehr dicht an der Grenze zum Sowjetischen Wolhynien lag. Meine Familie hatte also Glück gehabt!
Die genauen Koordinaten, die einen Ort eindeutig definieren, ermittelt man am besten mit Google Earth. Ich gebe Rivne ein und „fliege“ dorthin, dann gehe ich so lange nach rechts bis ich Koryst‘ sehe. Ich entdecke den in Grün geschrieben Rayon Korets’kyi. Wenn ich jetzt vergrößere, finde ich leicht „Zaliznytsya“ (ukrainisch Залізниця) zwischen Koloverty und Danychiv. Die Koordinaten sind 50°40’50“ N (nördliche Breite) und 26°58’11“ O (östliche Länge).
Für jede Ortssuche benötigt man Karten, am besten aus der Zeit des betreffenden Ereignisses. Im Internet findet man immer mehr Karten mit guter Auflösung, die man auf seinen Computer herunterladen und mit einem Bildbearbeitungsprogramm anschauen oder ausdrucken kann.
Für das westliche Osteuropa bis 30°20′ östliche Breite findet man viele Karten bei der polnischen Kartensammelstelle MAPSTER unter igrek.amzp.pl. Diese Karten reichen bis kurz vor Kiew und haben unterschiedliche Maßstäbe. Sehr gut sind die polnischen Karten (M 1:100.000) von 1930.
Karten für Russland, die Ukraine und Weißrussland von 1970-1990 (M 1:100.000 bis M 1:1.000.000) findet man unter: maps.vlasenko.net
Die Karten sind kyrillisch und reichen bis zum Fernen Osten. Man kann einen Ort gleichzeitig auf zwei Karten anschauen, darunter auch die oben genannten österreichisch-ungarischen Karten.
Die Ortssuche hat auch den Sinn, Orte der Familie zu besuchen, um herauszufinden, wie es dort heute aussieht. Das habe ich 2006 gemacht. Ich besuchte auch die nord-östlich von Zaliznytsia gelegene Kolonie Toptscha (pol. Topcza, ukr. Топча). Mein Vater ging dort bei seinem Vater nach der Verbannung in Orenburg zur Schule. Zu sehen ist dort nur noch der überwucherte Friedhof. Das kleine ukrainische Dorf ist aber noch existent. Jetzt verstehe ich meinen Vater, warum er nach seiner Ausbildung nicht nach Wolhynien zurückkehrte, sondern die Großstadt Posen (poln. Poznań) vorzog, wo ich geboren wurde.