Dokumente über die Schwarzmeerdeutschen in den Archiven von Odessa 

Anhang zum HFDO-Kalender für 2017

Das Staatsarchiv des Bezirks Odessa wurde im Jahre 1921 gegründet. Die überwiegende Zahl der Archivdokumente stammt aus dem 19. und 20. Jh., einige davon sind auch älteren Datums. Insgesamt verfügt das Archiv über zwei Millionen Archiveinheiten. Nach den vorläufigen Angaben gibt es dort etwa 200.000 Akten, die die Geschichte der Schwarzmeerdeutschen betreffen, die größtenteils noch nicht in angemessener Weise bearbeitet bzw. erforscht worden sind.

Zu den frühesten und interessantesten gehören die Archivbestände des Fürsorgekomitees für die ausländischen Ansiedler (Fond 6 – aus den Jahren 1800-1871, 15.227 Archivakten) und seiner Odessaer Niederlassung (Fond 252 – für die Jahre 1800-1833, 917 Archivakten). Darin wurden Unterlagen zur Wohnumfeld-Infrastruktur der Kolonien und zum Alltag ausländischer Kolonisten gezielt gesammelt, in erster Linie solche mit deutscher Herkunft.

Zu einigen Mutterkolonien gibt es eigenständige Bestände mit Akten der Bezirks- und Dorfverwaltungen. Dazu gehören Groß-Liebenthal (Fond 53), Kandel (54 und 67), Baden (55 und 68), Mannheim (56), Selz (58), Alexanderhilf (61), Klein-Liebental (63), Josephstahl (64 und 71), Marienthal (65), Petersthal (66), Elsass (70), Hoffnungsthal (74) und andere.

Eine wertvolle Informationsquelle über die evangelisch-lutherischen Gemeinde der Stadt Odessa stellt der entsprechende Archivbestand dar (Vgl.: Nr. 630 – von 1811 bis 1925, 365 Akten). Bedauerlicherweise sind zahlreiche Archivbestände der katholischen Pfarreien nahezu vollständig verschollen.

Kirchenbücher der lutherischen und (freikirchlich) reformierten Gemeinden aus den Gebieten der Südukraine, von Bessarabien bis hin zum Asowschen Meer sind in einem Archivbestand zusammengefasst (Nr. 894, von 1898 bis 1917, 49 Akten) und enthalten Aufzeichnungen über Geburten, Eheschließungen und Todesfälle von über 110.000 deutschen Personen. Eine detaillierte Auflistung dieses Bestandes mit der Aufteilung nach Einzelakten, Gemeinden und Siedlungen wurde in einem Sammelkatalog auf den Seiten 59-68 und 193-273 veröffentlicht: archive.odessa.gov.ua

Deutsche stellten einen beträchtlichen Teil der Einwohnerschaft des Gouvernements Cherson dar. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie im Besitz von ca. 35% aller Ländereien im Amtsbezirk Odessa. Die vielfältigen „Geschäfte“ zum An- und Verkauf von Immobilien spiegeln sich im Aktenbestand des Haupt-Notars des Odessaer Landgerichts wieder (Fond 35 – von 1865 bis 1920, 30.701 Akten). Obwohl diese Dokumentensammlung lediglich zu 30% erhalten blieb, enthält sie wertvolle Verzeichnisse mit über 100.000 Titelangaben mit den Familiennamen unter Erwähnung der jeweiliegn Ortschaft.

Es bestehen Informationen über die Deutschen auch in vielen anderen Archivbeständen der staatlichen und privaten Einrichtungen der damaligen Zeit. Die Auflistung aller Bestände der vorsowjetischen Periode findet man auf der Internetseite des Archivs: archive.odessa.gov.ua wodurch eine vorbereitende Recherche per Internet-Suche ermöglicht wird.

Aus der sowjetischen Periode befinden sich zum Zeitraum der 1920-1930er Jahre zehntausende Unterlagen in den hunderten von Archivbeständen der jeweiligen deutschen Verwaltungs- und Wirtschaftseinrichtungen. Deren vollständige Beschreibung steht noch aus, allerdings kann eine Übersicht aller Bestände schon jetzt auf der Internet-Seite des Archivs eingesehen werden: archive.odessa.gov.ua

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Bestände des Standesamtes der Stadt Odessa, sowie der ländlichen Kreisabteilungen des Standesamtes Odessa, die dem Staatsarchiv des Bezirks Odessa übergeben worden sind. Hierbei handelt es sich um hunderte von Archivakten mit standesamtlichen Eintragungen über Geburten, Eheschließungen und Todesfälle, die fast durchgehend einen Vermerk zur Nationalität(Volkszugehörigkeit) enthalten, was für die Rekonstruktion der Familienunterlagen (im Rahmen der Familienforschung) von Relevanz ist. Weder sind die Unterlagen zu allen deutschen Siedlungen erhalten geblieben, noch decken sie alle Jahre ab, dafür ist ihr Umfang groß und das Thema bedarf einer gesonderten Untersuchung.

In den Akten verschiedener administrativer sowie parteiwirtschaftlicher Einrichtungen gibt es viele Angaben über die Enteignungen von (Groß-)Bauern. In der entsprechenden Registerkartei sind mehr als 14.000 deutsche Familien enthalten, wobei diese Zahl bei weitem nicht endgültig sein kann, weil es allumfassende Nachforschungen hierzu nicht gab. Gesondert sollten die Archivunterlagen der Repressivorgane aus der Zeit der Stalin-Ära betrachtet werden. Die Archivakten der politisch Repressierten (Verurteilten) wurden zum Teil an das Staatsarchiv des Bezirks Odessa übergeben. Insgesamt handelt es sich hierbei um 13.400 Akten, darunter befinden sich über 3500 Personen deutscher Nationalität. Ein beträchtlicher Teil der Bestände befindet sich weiterhin im Archiv der Odessaer Bezirksverwaltung SBU (Staatssicherheit der Ukraine), die mehr als 2500 Deutsche betreffen. Die Akten über die Sonderstrafansiedler (Deportierten) werden dagegen im Archiv der Hauptverwaltung des MDW (Ministerium des Inneren) des Bezirks Odessa aufbewahrt. Insgesamt sind es 26.200 Akten, davon mehr als 22.000 von den Deutschen.

Mit all diesen Akten werden im Institut für ethnische Forschungen e.V. derzeit zwecks Identifizierung und Digitalisierung gearbeitet. Die Auflistung der Repressierten (6006 Namen) und Sonderstrafansiedler (28.471 Namen) kann in der Abteilung Martirolog der Odessaer Deutschen unter: forum.wolgadeutsche.net

eingesehen werden. Eine weitere Personengruppe stellen die Repatriierten dar. Aus den Archiven des ehemaligen KGB (Komitee für Staatssicherheit) wurden dem Staatsarchiv des Bezirks Odessa ca. 90.000 Registerkartei-Kärtchen und mehr als 27.000 Akten über all diejenigen Repatriierten übergeben, die im Rahmen der Rückführung aus Deutschland in die UdSSR in den Jahren 1945 und 1946 einer Filtrations-Überprüfung unterzogen wurden. Unter diesen Materialien finden sich ca. 45% der Akten auf Personen deutscher Nationalität, deren Listen derzeit (noch) bearbeitet und präzisiert werden.

Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes über den Zugang zu den Unterlagen der Repressionsorgane der Sowjetischen Periode in der Ukraine im Jahre 2015 wurden die bis dato unbekannten Bestände in den Archiven der SBU und des MWD aufgespürt. Dies führt zu tausenden neuen Archivakten und tausenden neuen Namen, welche weiterer und weiterer Nachforschungen bedürfen.

Alex Köhler
Institut für ethnische Forschungen e.V., Odessa, Ukraine
E-Mail: koehler1962@gmail.com
Übersetzung: Ida Häuser, Graben(Lechfeld)